Merkmale
Die hypochondrische Störung ist gekennzeichnet durch eine übermäßige Beschäftigung mit dem Gedanken bzw. eine anhaltende Überzeugung, an einer ernsthaften Krankheit zu leiden. Diese Überzeugung beruht auf einer Fehlinterpretation eigentlich normaler körperlicher Empfindungen und Erscheinungen, die der Betroffene als krankhaft oder belastend empfindet. Die Aufmerksamkeit ist meist auf ein bis zwei Organsysteme gerichtet und die vermutete Krankheit oder Entstellung kann von der betroffenen Person benannt werden (z.B. Angst, eine Herzerkrankung zu haben). Es kann jedoch kein medizinischer Krankheitsfaktor gefunden werden, der die Beschwerden der hypochondrischen Störung erklären kann.
Die Angst des Betroffenen bleibt aber trotz der Versicherung der Ärzte bestehen. So lässt sich ein Betroffener, der die Überzeugung hat an einer Herzkrankheit zu leiden, nicht durch negative Ergebnisse bei körperlichen Untersuchungen, im EKG oder sogar in einer Herzangiographie beruhigen- und wenn doch, dann nur für kurze Zeit. Die Besorgnis kann jedoch zwischen den Konsultationen zu- oder abnehmen und die Aufmerksamkeit kann zwischen verschiedenen Organsystemen bzw. vermuteten Krankheiten variieren. Der Betroffene wird gewöhnlich im Verlauf der Störung in Erwägung ziehen, dass noch weitere oder andere Erkrankungen vorhanden sein könnten. Die Überzeugung hat allerdings keinen wahnhaften Charakter, d.h. die Person kann durchaus einsehen, dass ihre Sorge möglicherwiese übertrieben ist oder eventuell doch keine Erkrankung existiert.
Typisch für die hypochondrische Störung ist die Konsultation verschiedener Ärzte („doctor-shopping“) und eine kontinuierliche Verschlechterung der Arzt-Patienten-Beziehung mit großer Enttäuschung und Frust auf beiden Seiten. Betroffene sind häufig überzeugt, nicht die richtige Behandlung zu bekommen oder dass die Ärzte etwas übersehen haben. Gegen eine Überweisung in eine Einrichtung zur Behandlung psychischer Erkrankungen können sich Betroffene vehement zur Wehr setzen. Die häufigen Untersuchungen und Behandlungen bergen gesundheitliche Risiken und verursachen hohe Kosten.
Folgen der hypochondrischen Störung
Die Beeinträchtigung durch die ständige Beschäftigung mit den körperlichen Beschwerden oder Erscheinungen kann zwischen Betroffenen sehr stark variieren. Manche leben recht normal, während andere Ihre Familie und ihr Umfeld infolge der Symptome sehr stark beeinflussen oder manipulieren. Die Sorgen werden häufig ein zentraler Bestandteil des Selbstbildes, ständiges Gesprächsthema und Reaktionsmuster auf belastende Lebensereignisse. Soziale Beziehungen und das Familienleben können durch die hypochondrische Störung beeinträchtigt sein, da sich alles nur noch um die Befindlichkeit der betroffenen Person dreht und diese sehr viel Aufmerksamkeit und besondere Behandlung einfordert. Die übermäßige Beschäftigung mit den Beschwerden kann auch im beruflichen Bereich zu verminderter Leistung und Fehlzeiten führen.
Häufig kann ein spezifischer Auslöser für die hypochondrische Störung gefunden werden. Dieser kann beispielsweise eine zurückliegende ernsthafte Krankheit in der Kindheit sein, eine Erkrankung einer nahestehenden Person oder eine psychosoziale Belastung, wie der Tod eines Angehörigen. Bei Personen mit einer hypochondrischen Störung findet sich häufig noch eine andere psychische Störung, insbesondere Angststörungen und depressive Störungen.
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Verlauf
Eine hypochondrische Störung kann grundsätzlich mit jedem Alter beginnen, tritt aber üblicherweise im frühen Erwachsenenalter auf. Der Verlauf ist chronisch mit wechselnder Schwere der Beschwerden. Manchmal kommt es zu einem vollständigen Rückgang der Symptomatik. Personen, bei denen die hypochondrische Störung akut begonnen hat, die zusätzlich medizinische Krankheitsfaktoren aufweisen, keine Persönlichkeitsstörung und keinen sekundären Krankheitsgewinn haben, scheinen eine bessere Prognose zu haben.
Zahlen
Die Häufigkeit des Auftretens der hypochondrischen Störung ist in der Allgemeinbevölkerung nicht bekannt. In Allgemeinarztpraxen werden 4-9% der Patienten als hypochondrisch eingestuft.
Somatoforme Störungen sind extrem weit verbreitet. In Deutschland erkranken ca. 80% im Laufe ihres Lebens an einer somatoformen Störung. 15% der Bevölkerung sind zum momentanen Zeitpunkt behandlungsbedürftig. Bei Patienten, die in ein Krankenhaus aufgenommen werden, sind ca. 30% von somatoformen Störungen betroffen. Nicht selten bleibt die Störung jedoch unerkannt und somit auch unbehandelt. Frauen scheinen häufiger von somatoformen Störungen betroffen zu sein, wobei kulturelle Unterschiede beachtet werden müssen.
Subtypen
Bei diesem Störungsbild werden keine Subtypen unterschieden.
Therapie
Die Therapie der somatoformen Störungen, wie der hypochondrischen Störung, erfordert ein multimodales Vorgehen, bei dem der Patient umfassend betreut wird. Es gibt z.B. spezialisierte psychosomatische Kliniken, die dem Patienten eine mehrwöchige stationäre Behandlung bieten, bei der verschiedene Therapieansätze zum Einsatz kommen.
Grundsätzlich ist als erster Schritt der Behandlung einer hypochondrischen Störung eine umfassende Psychoedukation notwendig. Der Patient wird dabei über das Zusammenspiel von körperlichen und seelischen Faktoren und Prozessen aufgeklärt und lernt seine Symptome besser zu erkennen und einzuschätzen. Therapeut und Patient erarbeiten in der Therapie gemeinsam ein individuelles Erklärungsmodell welches auch die psychischen Komponenten der hypochondrischen Störung betrachtet. Besonders wichtig ist es, dem Patienten zu vermitteln, dass „psychisch bedingt“ nicht bedeutet, dass sie „verrückt“ oder „geistesgestört“ sind (wie es diese Patientengruppe gerne ausdrückt).
Durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen soll der Patient einen besseren Umgang mit seinen Beschwerden lernen, negative kognitive Muster verändern, Vermeidungsverhalten (z.B. eingeschränkte Aktivität aufgrund von Schmerzen) reduzieren und seine Ressourcen stärken. Die verhaltenstherapeutischen Methoden werden häufig mit Entspannungsverfahren kombiniert. Die bekanntesten Verfahren sind die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, das Autogene Training, sowie Biofeedback.
In einer tiefenpsychologisch fundierten Therapie liegt der Schwerpunkt auf der Aufarbeitung von traumatisierenden Kindheitserfahrungen, Bindungsproblematiken und seelischen Konflikten, die zur Aufrechterhaltung der hypochondrischen Störung beitragen.
Die klassische Psychotherapie kann mit physikalischer Therapie, Ergotherapie, Bewegungstherapie und Gesundheitsberatung/-training kombiniert werden. Primäres Ziel der Therapie ist der verbesserte Umgang mit der Erkrankung und eine bessere Funktionsfähigkeit im familiären und beruflichen Bereich sowie eine Linderung der Beschwerden.