Verfahren und Berufsbezeichnungen
In Deutschland entscheidet der „Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“ der Bundesärztekammer, ob ein therapeutisches Verfahren wissenschaftlichen Kriterien genügt und anerkannt werden kann. Bis zum heutigen Tag zählen zu den wissenschaftlich anerkannten Verfahren die analytische Psychotherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, beides psychodynamische Verfahren sowie die Verhaltenstherapie. Behandlungen, die im Rahmen dieser wissenschaftlich anerkannten Therapieverfahren stattfinden, werden in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Nach dem Psychotherapeuten-Gesetz von 1999 sind „psychologische Psychotherapeuten“ und „Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin“ als Psychotherapeuten anerkannt und ihre Berufsbezeichnung geschützt.
Die psychotherapeutischen Verfahren unterscheiden sich sowohl hinsichtlich ihres Verständnisses über den Ursprung von psychischen Krankheiten als auch in ihrem Therapiekonzept und der Haltung der Psychotherapeuten zu ihren Patienten.
Psychodynamische Therapieverfahren
Die psychodynamischen Therapieverfahren konzentrieren sich auf die Untersuchung und Aufdeckung des Hintergrundes von aktuellen psychischen Erkrankungen und Störungen. Die pathologischen/problematischen Abweichungen, die sich im aktuellen Erleben und Verhalten zeigen, werden als Folge traumatischer Ereignisse in der Vergangenheit (meist Kindheit) und unzureichend verarbeiteter innerer Konflikte, die sich aus den Traumatisierungen ergeben haben, angesehen. In der Therapie setzen sich Patient und Therapeut mit dem sogenannten „Unbewussten“ auseinander. Freie Assoziationen, Träume (Königsweg des Unbewussten) und Reaktionen des Patienten gegenüber dem Therapeuten und anderen werden analysiert um Entwicklungsschritte nachzuholen und Konflikte aufzulösen. Durch das Aufdecken der Ursachen des Leidens verändern sich das Bild, welches ein Mensch zu sich selbst hat und seine Einstellungen zu sich selbst und zu anderen. Dies wiederum verändert das problematische Verhalten und die Symptomatik. Die Einsicht des Patienten lässt sich allerdings weder beschleunigen noch erzwingen. Psychodynamisch geschulte Therapeuten lenken die Selbstexploration subtil, so dass die Patienten selbst auf ihre persönlichen, zugrunde liegenden Probleme stoßen können.
Analytische Psychotherapie
Die analytische Psychotherapie geht auf Sigmund Freud zurück und ist die älteste Form der Psychotherapie. Mit der Zeit haben sich verschiedene Varianten des Psychotherapieverfahrens entwickelt, die größtenteils in ihrem Verständnis der Entstehung psychischer Erkrankungen übereinstimmen. Generell hat die Psychoanalyse zum Ziel die psychische Grundstruktur des Patienten offen zu legen, d.h. verdrängte Gefühle und Erinnerungen bewusst zu machen, die die Entwicklung zu einem gesunden, selbständigen Individuum blockiert haben. Die Ursachen (und schließlich auch die Lösungen) für gegenwärtige Probleme des Patienten liegen nach der analytischen Psychotherapie in seinem Unbewussten und in seiner Vergangenheit. In der Therapie konzentriert man sich deshalb auf die systematische Analyse von freien Assoziationen, Träumen, Übertragungen und Gegenübertragungen. Konflikte aus prägenden Entwicklungsphasen werden damit erneut durchlebt und verarbeitet. Für gewöhnlich finden bei dieser Therapieart 2-3 Sitzungen pro Woche (insgesamt 240 bis maximal 300, von der Krankenkasse bewilligte Therapiestunden) im Liegen statt. Durch diese intensive Behandlung hat der Patient die Möglichkeit sich sehr umfassend dem Therapeuten anzuvertrauen und grundlegende Aspekte der eigenen Persönlichkeit emotional neu zu entdecken und in einem längeren Prozess zu verändern. Der Therapeut verhält sich zu jeder Zeit neutral, um als Projektionsfläche für die Emotionen des Patienten zu dienen. Hilfreich ist dabei, dass er außer Sichtweite des Patienten sitzt. Damit eine psychoanalytische Behandlung erfolgreich sein kann, sollte der Patient die Fähigkeit und vor allem die Bereitschaft zur Selbstanalyse mitbringen.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Bei der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie handelt es sich um eine modifizierte, kürzere Form der psychoanalytischen Therapie, die dann geeignet und sinnvoll ist, wenn Patient und Therapeut ein klares, abgrenzbares Therapieziel definieren können. Durch die Fokussierung auf nur wenige zentrale Problembereiche bzw. einen oder mehrere aktuelle Konflikte, ist es möglich bereits in kürzeren Zeiträumen Verbesserungen der Symptomatik zu erreichen. Auch wenn der Schwerpunkt des Therapieverfahrens weiterhin klärungsorientiert bleibt, werden ergänzend problemzentrierte und lösungsorientierte therapeutische Methoden eingesetzt. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie geht ebenfalls davon aus, dass aktuellen Problemen innerpsychische Konflikte zugrunde liegen. Der Patient soll durch die Einsicht in Zusammenhänge und Ursachen seiner Probleme und durch aktive Unterstützung des Psychotherapeuten, Veränderungen in seinem Erleben und/oder Verhalten anstreben. In der Regel findet die Therapie einmal die Woche, für insgesamt bis zu 80 – maximal 100 Stunden – statt. Therapeut und Patient sitzen sich während der Sitzung gegenüber.
Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie grenzt sich von den psychodynamischen Therapieformen hauptsächlich durch ihr stark lösungs- und handlungsorientiertes Vorgehen ab. Aufbauend auf dem Behaviorismus und den Lerntheorien, postuliert das Therapieverfahren, dass Menschen ihr Erleben und Verhalten durch ihre Erfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens machen, erlernen. In Folge dessen entsteht eine psychische Krankheit dann (bzw. wird abweichendes Verhalten als psychische Krankheit definiert), wenn die erlernten Muster problematisch oder unangemessen sind und diese bei der betroffenen Person oder deren Umgebung Leid verursachen.
In der Therapie setzt der Psychotherapeut bei der aktuellen Problematik und Symptomatik des Patienten an und versucht gemeinsam mit dem Patienten genauestens herauszufinden, welche Faktoren das problematische Erleben und Verhalten entstehen haben lassen, weiterhin aufrechterhalten und was getan werden muss, um dieses zu überwinden und die Lebenssituation für den Patienten deutlich zu verbessern. Da einmal erlerntes Verhalten auch wieder verlernt bzw. umgelernt werden kann, kommen in der Verhaltenstherapie Methoden (inkl. praktische Übungen) zum Einsatz, die eine Veränderung der Symptomatik ermöglichen, indem sie zum einen beim Patienten die Selbstregulation trainieren und zum anderen die nötigen Fähigkeiten ausbilden und fördern. Dazu zählen z.B. Angstbewältigungsstrategien, Rollenspiele, Selbstsicherheitstraining, Entspannungs- und Visualisierungstechniken. Neben der Veränderung von belastenden Verhaltensweisen, befasst sich die Verhaltenstherapie auch mit problematischen Denkmustern und erweist sich als erfolgreich bei der Behandlung von Depressionen, Ängsten, Zwängen oder Selbstsicherheitsproblemen.
In der Regel findet die Therapie im Gegenübersitzen mit einer Therapiesitzung pro Woche statt und wird als Kurzzeittherapie mit 25 Stunden, als Langzeittherapie mit 45 bis max. 80 Stunden von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Bei bestimmten psychischen Störungsbildern kommt es vor, dass – nach entsprechender Vorbereitung – mehrere Therapiestunden hintereinander an Orten oder in Situationen durchgeführt werden, in denen die Symptomatik besonders schwerwiegend ist (z.B. bei manchen Angststörungen oder bei Zwängen).
Weitere Verfahren
Neben den wissenschaftlich anerkannten und von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierten Therapieverfahren, gibt es noch weitere Verfahren, die ebenfalls hilfreich sein können. In Deutschland sind diese Psychotherapieverfahren bis jetzt noch nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen worden, da man entweder über ihre Wirksamkeit noch keine wissenschaftliche Aussage treffen kann oder sie nur für ein sehr begrenztes Störungsspektrum erfolgreiche Anwendung finden. So wurde die Gesprächspsychotherapie nach Rogers bereits 2002 und die Systemische Therapie bereits 2008 vom „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie“ als wissenschaftlich anerkannt. Wissenschaftlich nicht anerkannt kann dabei nicht nur bedeuten, dass das Verfahren keinen wissenschaftlichen Kriterien genügt, sondern auch, dass das Psychotherapieverfahren noch nicht so geprüft worden ist, dass wissenschaftlich sinnvolle Aussagen über das Verfahren gemacht werden können, z.B. ist dies bei der Gestalttherapie oder Bioenergetik (körpertherapeutisches Verfahren) der Fall. Auf jeden Fall wurde die Wirksamkeit von Psychotherapie im Allgemeinen wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesen.
Gesprächstherapie
Die Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers zählt zu den humanistischen Ansätzen und ist auch unter dem Namen klientenzentrierte Psychotherapie bekannt. Diesen Ansätzen liegt generell ein Menschenbild zugrunde, nachdem jeder Mensch nach Selbstverwirklichung strebt und somit die Motivation und den Antrieb, an seinen Problemen zu arbeiten bereits in sich trägt. Nach der Gesprächstherapie liegt der Beginn psychischer Störungen in der Kindheit. Erfahren Menschen in jungen Jahren keine positive Wertschätzung von ihren Bezugspersonen (in der Regel den Eltern), so werden sie sich später sehr wahrscheinlich nicht so akzeptieren wie sie sind. Letztendlich kann es dazu kommen, dass Selbstbild und Selbstwahrnehmung mit Rückmeldungen aus dem sozialen Umfeld und aktuellen Lebenserfahrungen nicht mehr vereinbar sind und die Selbstverwirklichung der eigenen Person unmöglich erscheint. In der Therapie konzentrieren sich Therapeut und Patient auf die emotionalen Prozesse und versuchen gemeinsam neue Betrachtungsweisen und Lösungen für den Patienten zu finden. Dabei demonstriert ein gesprächstherapeutisch ausgebildeter Therapeut während der gesamten Therapie drei wichtige Eigenschaften: Echtheit bzw. Ehrlichkeit des Therapeuten in seinem Ausdruck, unbedingte positive Wertschätzung (wertungsfreie Akzeptanz) des Klienten und seiner Problematik und aufrichtige Empathie gegenüber dem Klienten. Im Laufe der Therapie befähigen diese Atmosphäre und die klientenzentrierte Gesprächsführung den Patienten dazu sich selbst ehrlich zu betrachten und anzunehmen. In der Regel wird eine Gesprächspsychotherapie einmal die Woche innerhalb von durchschnittlich 40-80 Sitzungen durchgeführt. Bis zum heutigen Zeitpunkt wird dieses Verfahren nicht von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland übernommen.
Gestalttherapie
Die Gestalttherapie nach Fritz Perls gehört ebenfalls zu den humanistischen Therapieverfahren und geht davon aus, dass Menschen grundsätzlich nach dem Guten und Ganzheitlichen in sich streben. Ähnlich dem gesprächstherapeutischen Ansatz, wollen auch Gestalttherapeuten Patienten zu mehr Selbsterkenntnis und Selbstannahme bewegen. Dieses erreichen sie jedoch nicht nur durch ein unterstützendes Verhalten. In der Therapie soll der Patient einerseits frustriert werden, indem der Therapeut nicht alle seine Erwartungen und indirekten Forderungen erfüllt. Andererseits wird der Patient mit Hilfe von Rollenspielen herausgefordert, indem er z.B. eine andere Person, einen Gegenstand oder ein eigenes Körperteil ausagieren soll. In jeder Sitzung wird zudem auf bestimmte Regeln geachtet, wie z.B. immer die „Ich-Form“ bei Beschreibungen der Situationen und der belastenden Problematik zu verwenden und immer im hier und jetzt zu bleiben. Ziel der Therapie ist es den Patienten mit seinen unvollständig verarbeiteten Erfahrungen oder unterdrückten Bedürfnissen zu konfrontieren um schließlich ein ganzheitliches Individuum, welchem alle Teile seiner Persönlichkeit, seine Gefühle und Bedürfnisse bewusst sind (die sogenannte „gute Gestalt“) zu erreichen. Die Systemische Therapie unterscheidet mehrere verschiedene Therapieformen. Allen gemeinsam ist der Grundgedanke, dass eine psychische Erkrankung eines Patienten ein Symptom für eine Störung im Verhalten- oder Kommunikationsmuster des Systems ist, in dem der Patient lebt oder sich aufhält. Deshalb wird bei einer systemischen Therapie auch das nähere Umfeld, wie z.B. die wichtigsten Bezugspersonen, die Familie oder Freunde miteinbezogen. Das System hat zur Entstehung und auch weiteren Aufrechterhaltung der Symptomatik beigetragen. Bei der Behandlung wird der Psychotherapeut zunächst versuchen die Störung im System aufzudecken. Anschließend geht es darum Lösungsmöglichkeiten für den Patienten zu finden. Ein Beispiel für eine systemische Methode ist die paradoxe Intervention. Dabei wird der Patient angehalten sein problematisches Verhalten nicht zu bekämpfen sondern beizubehalten, um nicht die bestehende Familienstruktur zu gefährden. Somit werden auch die Familienmitglieder gezwungen, sich mit der Problematik und ihrem Beitrag und ihrer Reaktion auf das zentrale Problem auseinanderzusetzen.
Dauer und Teilnehmer
Die aufgeführten Psychotherapieverfahren können als Kurzzeittherapie, Einzeltherapie, Gruppentherapie und Familientherapie Anwendung finden.